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Ein Dorf sieht weiß
Ein strahlend weißer Schatz
Aus venusta 10, Text: Barbara Tilli

Bruchstücke und Splitter aus Marmor, wie Brotkrumen am Boden verstreut, weisen den Weg zu Elias Wallnöfer. Wer dem Glitzern der Steine folgt, gelangt in sein Reich: eine alte Scheune, umgeben von duftenden Apfelwie sen. Hier, nicht weit vom Dorfzentrum von Laas, wo selbst die Gehsteige mit kristallinem Marmor gepflastert sind, hat sich der junge Bildhauer eingenistet. Bis zu neun Stunden täglich verbringt er in seiner Werkstatt, fertigt Grabsteine mit sakralen Motiven, haucht täuschend echt wirkenden Skulpturen Leben ein und modelliert Porträtbüsten für betuchte Unternehmer, die sich selbst gerne im reinsten Marmor der Welt verewigt sehen. Ursprünglich wollte Elias Wallnöfer Design studieren, dann aber entschied er sich auf Anraten seines Vaters für einen traditionellen Handwerks-beruf.
Nach seiner Ausbildung zum Steinmetz und Bildhauer verschlug es ihn ein Jahr lang nach Australien. „Um Surfen zu lernen“, sagt er. Den Traum von einem Leben am Strand in Down Under hat er sich am Ende nicht erfüllt. Statt-dessen fand er auf der Reise zu sich selbst. Er kehrte zurück in die Berge und verschrieb sich dem Stein, der sein Heimatdorf einst berühmt gemacht hat.

Die Blüte des Marmors

Wallnöfer stammt aus Laas, seine Vor-fahren waren im Marmorgeschäft tätig. In der Zeit der Habsburger, als der Abbau des weißen Goldes in Laas seine Blüte erlebte und der Bruch im Jennmassiv vielen Menschen Arbeit bot, betrieb die Familie von Elias Wallnöfer eine Marmorwerk-statt. Damals, zu kaiserlich-königlichen Zeiten, war das beschauliche Laas ein Hotspot der Kunst. Die besten Bildhauer aus aller Welt pilgerten zu diesem kleinen Dorf am Fuße der Jennwand, gemeinhin auch als „Marmor-Berg“ bekannt. Dorthin, wo in dunklen, unterirdischen Kathedralen aus Stein ein strahlend weißer Schatz begraben liegt. Seine Geschichte reicht bis ins Erdzeitalter zurück: Vor 400 Millionen Jahren lagerte sich im Norden Afrikas Kalk-stein ab, der im Zuge einer Verschiebung der Kontinental-platten bis nach Südtirol gelangte. Dabei war der Kalkstein großer Hitze und gewaltigem Druck ausgesetzt und verwandelte sich so in den schneeweißen Marmor, wie wir ihn heute kennen.

Der Siegeszug des wertvollen Gesteins aus Laas ist schließlich einem Mann zu verdanken, der heute als der Marmorpionier schlechthin gilt: Steinmetz Josef Lechner. Er war der Erste, der den sogenannten Weißwasserbruch im Jennmassiv 1883 in Betrieb nahm.Damals wurde der Marmor noch nicht mit Diamantseilsägen und Schrämmaschinen, sondern mit Spitz-eisen und Hacke oder durch gefährliche Sprengungen dem Berg entrissen. Aus den schweren Blöcken aus reinstem Marmor formten die Bildhauer eindrucksvolle Werke, die von Laas den Weg in die Welt fanden. Zu diesen Werken gehört unter anderem das Queen-Victoria-Denkmal vor dem Buckingham-Palast in London. Während früher renommierte Bildhauer den Ruhm des Laaser Marmors in die Welt trugen, sind es heute Architektinnen und Designer, die exklusive Marmorböden und -platten daraus fertigen lassen. Einer der wohl Bekanntesten seiner Zunft ist der Spanier Santiago Calatrava, der die welt-berühmte U-Bahn-Station am Ground Zero in New York mit Laaser Marmor verkleidete.
An der Quelle
Auch heute noch verschlägt es junge Künstlerinnen und Bildhauer aus aller Welt nach Laas. Zu ihnen gehört Romina Roman. Derzeit drückt sie die Schulbank. Hammer und Meißel gehören aber schon jetzt zu ihrem Alltag, denn sie besucht die renommierte Fachschule für Steinbearbeitung in Laas, deren Wurzeln bis ins Jahr 1874 zurückreichen. Hierfür ist sie eigens von Salzburg in den Vinschgau gezogen. Die anderen Marmorschüler stammen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder den Niederlanden und wollen wie sie von den Meistern dieser Zeit lernen. „In Laas wird der Marmor abgebaut und bearbeitet. Hier hat alles angefangen. Ich sitze an der historischen Quelle“, erklärt sie. Strahlend weiße Marmorskulpturen und Büsten schmücken die lichtdurchfluteten Räumlichkeiten der Schule. Im Modellierraum, wo die Ideen der Schülerinnen und Schüler erste Formen annehmen, liegt der Geruch von Gips in der Luft. Hier wird gegossen, gebildet, konstruiert und ausprobiert. Zwei Etagen tiefer befindet sich die große Werkstatt. Beim Anblick der Geräte und Maschinen, die den Raum füllen, blüht die junge Künstlerin auf. Das ist ihre Welt. Und sie ist laut. Auf Hochdruck wird in der Werkstatt gemeißelt, gefräst, geschlagen und gehämmert. Keine Arbeit für schwache Nerven. „Man braucht durchaus Kraft, wenn man Marmor bearbeiten möchte. Am Anfang schmerzen die Handgelenke und man bekommt Blasen an den Händen. Mittlerweile habe ich aber genügend Hornhaut entwickelt“, sagt sie. Marmor beugt sich dem Menschen nicht. Er lässt sich nur formen, wenn man sich auf ihn einlässt. Neben Kraft, Technik, Kreativität und räumlichem Vorstellungsvermögen braucht es bei der Arbeit mit Marmor vor allem Geduld: „Manchmal erweist sich das Bearbeiten als Tortur. Man muss konzentriert sein, darf nicht in Gedanken versinken oder gar abschweifen. Der Marmor würde es nicht verzeihen. Nimmt man zu viel Material weg, war’s das. Dann gibt es kein Zurück. Es ist also immer wieder ein kleiner Leidensweg“, sagt die Schülerin.

Göttliche Farbe
Zwanzig Kilometer östlich von Laas thront oberhalb von Burgeis auf 1.350 Metern ein festungsartiges Gebäude: Kloster Marienberg. Es ist die höchstgelegene Benediktinerabtei Europas. Helene Dietl Laganda hat soeben die letzte Führung des Tages hinter sich. Mit 46 Jahren erfüllte sich die Lehrerin aus Mals einen lang gehegten Traum und begann ein Kunstgeschichte-Studium. Besser spät als nie, dachte sie sich. Heute teilt sie ihr Wissen mit Besuchern aus aller Welt. Gerade eben hat sie eine Gruppe in die Stiftskirche aus dem späten 12. Jahrhundert geführt. „Ich persönlich bin keine Kirchengängerin, dennoch halte ich mich öfter dort auf als so mancher Pfarrer“, sagt sie und lacht. Ihr Blick fällt auf das mit Granit und Marmor gerahmte Rundbogenportal am Eingang des Sakralbaus – ein Beispiel für die hoch entwickelte Technik der Steinmetzarbeit jener Zeit. „Kaum ein Stein wurde von Epoche zu Epoche so häufig verwendet wie der Marmor – sowohl bei profanen als auch bei sakralen Bauten. Vor allem aufgrund seiner hervorragenden Qualität, aber natürlich auch aufgrund seiner Ästhetik“, betont sie. Hier in Marienberg hat der weiße Marmor aus Laas Symbolwert, immerhin gilt Weiß als die göttliche Farbe. Besonders schön kommt das in der Krypta zur Geltung, wo ein beeindruckender romanischer Freskenzyklus zu sehen ist. „Schon bemerkt? Die Farben glitzern!“, flüstert Dietl Laganda.

Tatsächlich muss es für die Menschen im Mittelalter ein göttliches Wunder gewesen sein, Christus, den gütigen Weltenrichter, umgeben von Aposteln und Engeln, tief unter der Erde funkeln zu sehen. Das Geheimnis? Eine Farbmischung aus Marmorstaub. Manchmal sieht das Auge eben, was es sehen will. Und manchmal ist es das innere Auge, das einen leitet. Genau so entstehen die Werke von Elias Wallnöfer. Gerade arbeitet er im Schatten eines Pavillons an einer Porträtbüste für einen vermögenden Geschäftsmann. Er hat sie freigemeißelt aus einem kristallinen Block aus Marmor. Gedacht ist sie für die Ewigkeit. „Laaser Marmor ist sehr langlebig, er ist witterungsbeständig, wasserundurchlässig und ist um 20 Prozent härter als andere Marmorarten“, betont er. Hart im Nehmen und ein wenig eigensinnig, so werden auch die Laaser selbst manchmal beschrieben. Von außen mögen sie so wirken, doch wer Geduld hat und sich auf sie einlässt, erlebt am Ende ein kleines Wunder.
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